Leistungsprinzip

oder: Leben, lernen, Leistenbruch…

Die Fortschritte unserer Schulen in Richtung corporate identity sind nicht zu übersehen. Es ist zwar noch nicht allgemein üblich, dass Lehrer und Schüler und gegebenenfalls Eltern regelmäßig gemeinsam nach dem Muster japanischer oder amerikanischer Betriebshymnen die Schulhymne absingen. Aber immerhin gibt es z. B. schon Schullogos. Und Schulslogans. Oder sollte man von Schulmotti sprechen? Oder – nicht ohne einen gewissen Beigeschmack – von Schuldevisen? Als was könnte man beispielsweise „leben, lernen, leisten“ noch bezeichnen?

Bewerten kann man es zweifellos nur als Bullshit. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, muss man nicht einmal grundsätzlich etwas gegen das Leistungsprinzip haben. Aber es gibt schwer wiegende Einwände gegen das Leistungsprinzip als einziges Prinzip. Und es sollte auch nicht ohne jedes Korrektiv unter allen Prinzipien den obersten Rang einnehmen.

Bei „leben, lernen, leisten“ scheint das jedoch gar nicht der Fall zu sein. Dieser Schlachtruf im Kampf – nicht wie bei Hegel um Anerkennung – nein, um Anmeldungen, dieser Schlachtruf hat auf den ersten Blick etwas überraschend Humanes. Fast könnte man eine Art Nachhall der längst vergessenen Rede von einem „Haus des Lernens“ vernehmen, hinter dem dann Hartmut von Hentig auftaucht, der einst „Die Schule neu denken“ wollte und als sozialen Lebens- und Erfahrungsraum, ja als kleinformatige „Polis“ zu konzipieren sich anschickte. Der Mann hat inzwischen durch die allzu bedenkenlose Wahl seines Lebenspartners und das kritiklose Festhalten an ihm sein Lebenswerk versenkt, aber ja, das mit der kleinen Polis war damals schon eine nette Idee.

Ist „leben, lernen, leisten“ dann nicht genauso nett? Nun, man kann den Verdacht haben, dass die genannten tiefgründigen Überlegungen bei der Suche nach einem zündenden Slogan keine Rolle spielten. Dass man dabei vielmehr einfach nur der Ansicht war, das Ergebnis müsse – wie heißt es doch gleich belegschaftscoachingsdummdeutsch? ach ja, richtig: zielführend sein. Also, irgendwie griffig.

Die zeitgemäße Terminologie täuscht darüber hinweg, dass man sich auf dem Terrain einer rund 2500 Jahre alten Disziplin bewegt: „Griffigkeit“ ist eine Metapher, die uns hier nicht an die Kriterien für den Erwerb von Winterreifen denken lassen sollte, sondern an das griechische „prepón“, das lateinische „aptum“, also das Prinzip, Worte ihrem Zweck angemessen einzusetzen. Kurz, es geht um Rhetorik.

„Leben, lernen, leisten“ ist eine alliterierende Dreiergruppe. Drei Verben im Infinitiv, die mit demselben Laut, demselben Buchstaben anfangen. Es ist zu vermuten, dass die Urheber noch dazu an eine Klimax, eine Steigerung gedacht haben. Dadurch würde „leben“ zum schwächsten Glied einer Kette, in der die Reihenfolge der Glieder auf die Unterstreichung der Stärke des jeweils nächsten und schließlich des letzten angelegt ist. Angesichts der Tatsache, dass es einmal hieß, man lerne für das Leben und nicht für die Schule, muss das irritieren. Schlimmer noch, diese Reihenfolge legt die allertrivialste Lesart nahe, nämlich die grundstürzende Einsicht, dass Tote weder lernen noch etwas leisten können.

Das mittlere Glied „lernen“ ist, da es sich um das Motto einer Schule handelt, nur eine weitere Trivialität. Es ist darum hier nicht weiter erwähnenswert. Unsere ganze Aufmerksamkeit verdient hingegen der Höhepunkt der Klimax. Nimmt man diesen Gipfel, den Infinitiv „leisten“, erst einmal in den Blick, so erhärtet sich der Verdacht, dass ein Konzentrat der philosophischen Grundlagen der Pädagogik nicht angestrebt wurde.

Nein, hier wurde nur etwas über einen Leisten geschlagen. Was man sich damit geleistet hat, ist schon ein starkes Stück. Dass ausgerechnet die oberste Stufe einer Klimax einen Leistungsabfall darstellt, ist einigermaßen paradox, kommt aber nichtsdestoweniger vor.

Doch wir sollten diesen Ausflug in die Wortspielhölle abbrechen und unser Urteil begründen. „Leisten“ als dritter von drei alliterierenden Infinitiven gehört einfach nicht in die Reihe. Das Verb „leben“ wird eindeutig intransitiv verwendet. Gemäß dem auch sonst meist üblichen Gebrauch verlangt es kein Objekt. Eine transitive Verwendung von „leben“ ist zwar möglich: Man kann z. B. „sein Leben leben“. Aber von dergleichen ist hier nicht die Rede. Auch „lernen“ kennt einen transitiven wie einen intransitiven Gebrauch. Aber in dem allgemeinen, nicht auf konkrete Inhalte bezogenen Verständnis, mit dem wir es in diesem Kontext zu tun haben, kann nur der intransitive Gebrauch gemeint sein. Genau das müsste man jetzt auch für „leisten“ erwarten. Die ersten beiden Glieder haben das dritte darauf programmiert.

Aber das Verb „leisten“ lässt sich nicht intransitiv verwenden. Sieht man sich die Belegstellen in den einschlägigen Wörterbüchern an, so kommt man zu dem eindeutigen Ergebnis: Man kann nur „etwas leisten“, nicht ohne Objekt – und nicht ohne Besinnung, denn das Bewusstsein eines Gegenstands ist schon eine Art impliziter Theorie – in der Gegend herum leisten. Wer die groteske grammatische Fehlleistung jenes banalen Mantras hinnimmt, muss zusätzlich den schweren semantischen Kollateralschaden ignorieren, den es anrichtet. Auf ein intransitives Leisten sollte man daher nicht nur im Interesse der grammatischen Richtigkeit Verzicht leisten.

Lässt man es nämlich nicht einfach dabei bewenden, einen peinlichen Grammatikfehler zu registrieren, so ist man unversehens mit Problemen der Semantik konfrontiert. Man fragt sich dann: Hat der unglückliche Versuch, dem Verb „leisten“ zu einem intransitiven Gebrauch zu verhelfen, eine Bedeutung? War damit etwas gemeint?

Sollte das der Fall sein, so würde dadurch alles nur noch schlimmer. Was soll man sich unter einem objektlosen Leisten vorstellen, wenn nicht eine universelle Verfügbarkeit, die blinde Kombination unzähliger reflexionsloser fachlicher Borniertheiten? Wer, wo immer er auch hinkommt, egalwas leistet, potenziert den Fachidioten zum Vollidioten. Können wir uns das leisten?

1 Kommentar zu „Leistungsprinzip“

  1. Eva de Voss sagt:

    …es steht zu befürchten, dass sich n i e m a n d von den spin-doctors beim Drechseln dieses Slogans, der naiv den in der Werbung populären Dreischritt kopiert (MARS macht mobil /bei Arbeit, Sport und Spiel – gut, besser, PAULANER etc.etc.)irgendwelche Gedanken – und sei es auch nur grammatikalischer Art – gemacht hat über die Folgen, die ein derartiges Motto für ein pädagogisches Institut hat.

    Wie wäre es stattdessen z.B. mit:
    „Der du hier eintrittst, lass‘ alle Hoffnung fahren“?

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